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„Freiheit“: Welche und auf wessen Kosten?

„Sehr moderat“ sei die vorgesehene Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten, der heute der Grosse Rat zugestimmt hat. „Sehr moderat“ – und ein Gewinn an Freiheit… Was heisst das? Und vor allem: Was heisst es für die Arbeitnehmenden in den Geschäften?

Ein emotionale Debatte war es – insbesondere auch für mich persönlich. Es ist zwar Jahre her, dass ich die Berufsausbildung zur Detailhandelsangestellten gemacht habe. Längst arbeite ich nicht mehr auf meinem Beruf. Und dennoch haben mich die Voten jener, die einer Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten in Basel zustimmten, sehr aufgewühlt. Eigentlich ist es auch schön, zu spüren, dass die Verbundenheit zum eigenen Berufsstand etwas Dauerhaftes ist. Leider mussten wir im Rat heute aber eine knappe Niederlage einstecken. 50 zu 47 Stimmen für eine Ausweitung der Öffnungszeiten am Samstag bis 20 Uhr. Nun ist ein Referendum ziemlich sicher. Ich bin zuversichtlich, dass die Bevölkerung – wie schon vor knapp 5 Jahren – wie ich keinen Sinn darin sieht, dass in Zukunft die Läden auch am Samstag länger offen bleiben sollen.

Dennoch mache ich meinem Ärger über einige Liberalisierungs-Argumente noch einmal Luft:

  • „Liberalisierte Ladenöffnungszeiten sind ein Gewinn an Freiheit und entsprechen dem Bedürfnis der KundInnen.“
    Niemand konnte mir bisher einen Nachweis dafür bringen, dass Shopping am Samstag von 18 bis 20 Uhr einen markanten Gewinn an Lebensqualität (aka Freiheit) sein soll. Wer es vor 18 Uhr nicht schafft einzukaufen und also quasi in eine „Notlage“ gerät, hat bereits jetzt noch Möglichkeiten, sich in Bahnhofnähe, in einem Coop Pronto oder in einem der zahlreichen Familienbetriebe in den Quartieren mit den Nahrungsmitteln und Sachen „für den täglichen Bedarf“ einzudecken.
    Viel spürbarer ist der Unterschied für die Arbeitnehmenden, die neu nun auch am Samstag immer mal wieder bis 20 Uhr arbeiten müssen. Ein nicht behauptetes Bedürfnis kostet das Verkaufspersonal zwei wertvolle Stunden Freizeit.
  • „Es gibt viele Arbeitnehmende, die froh sind um flexiblere Zeiten. Mütter können so am Samstag mehr Stunden arbeiten, wenn der Vater die Kinder betreuen kann.“
    Die bisherigen Ladenöffnungszeiten machen die Pflege eines einigermassen normalen sozialen Umfelds bereits zur Herausforderung. Auch die Familienorganisation gestaltet sich schwierig: Bezahlbare Kindertagesstätten sind nicht bis 20 Uhr geöffnet. Und jene Mütter, die Betreuungsbedarf haben, sollen sich jetzt also sogar noch darüber freuen, dass sie auch am Samstag arbeiten, bis die Kinder im Bett sind? Zynischer geht es kaum!
  • „Liberalisierte Ladenöffnungszeiten führen zu einer Belebung der Innerstadt.“
    Längere Öffnungszeiten setzen gerade die kleinen Läden, die das Angebot in der historischen Innerstadt ausmachen, massiv unter Druck. Sie können es sich nicht leisten, ihr Geschäft weitere zwei Stunden offen zu halten. Notabene ohne merklichen Mehrumsatz: Das Aufkommen der Kundschaft wird sich im Wesentlichen lediglich anders über den Tag verteilen. Nur grosse Geschäfte können es sich leisten, die Personalplanung anzupassen. Die Liberalisierung wird also höchst wahrscheinlich zu weiteren Ladenschliessungen führen.
    Zudem bleiben die BefürworterInnen jeden Beleg schuldigt, dass ausgeweitete Öffnungszeiten die Menschen dazu bringen würden, in der Stadt statt im nahen, günstigen Ausland einzukaufen. Diese Vorstellung ist naiv! Alle Umfragen und Erhebungen zeigen, dass es nicht eine Frage der Öffnungszeiten ist, dass die Menschen in Deutschland oder Frankreich einkaufen.
  • „Es ist nicht einzusehen, wieso die Arbeitsbedingungen des Verkaufspersonals höher gewichtet werden sollen, als jene des Gastronomie-Personals oder der Angestellten in Krankenhäusern.“
    a) Die Interessen der einen gegen jene der anderen auszuspielen ist ganz tiefes Niveau. Gerne setze ich mich auch für bessere Arbeitsbedingungen von KellnerInnen, ZugbegleiterInnen oder Pflegepersonal ein, wenn sie zur Diskussion stehen.
    b) Das Verkaufspersonal untersteht – im Gegensatz zu anderen, oben aufgeführten Berufsgattungen – keinem allgemeingültigen GAV. Die Sozialpartner fanden zu keiner Einigung. Und das führt dazu, dass das Verkaufspersonal bereits sehr schlechte Arbeitsbedingungen habt. Der geltenden Normalarbeitsvertrag (NAV) legt einzig einen Mindestlohn von 3’700.- fest. Davon zu leben – insbesondere, wenn man eine Familie hat – ist wahrlich kein Schleck. Eine Berufsgruppe, die schlecht geschützt ist und bereits schlechte Bedingungen hat, musst umso mehr Schutz bekommen.

Aus all diesen Gründen war ich bei der heutigen Debatte mit Herz und Seele dabei – und bin erbost über das Resultat der Parlaments-Abstimmung. Einer Referendums-Abstimmung sehe ich zuversichtlich entgegen.

Telebasel hat über die Debatte berichtet und für den Bericht auch mich kurz interviewt.